Die Reflexion der Reflexion: eine Beobachtung dritter Ordnung
Ludwigsburg, im September 2020
Liebe Do,
wir wollten uns nichts schreiben, sagten wir, jedenfalls nichts über unser Tun. Nichts sollte erklären, was wir machen, keine Worte dazu nötig sein. Du fotografierst, ich schreibe dazu, einfach so, ohne jeden Kommentar, so war es ausgemacht. Ein WortBildWechsel sollte es sein, ein künstlerischer Dialog, der keiner klärenden Worte bedarf – und doch und doch. Da hast du mir ein Bild geschickt, das schreit geradezu danach, dass ich darüber schreibe. Zu dir, als wäre es ein Gespräch. Und ich gebe zu, ich gebe auf. Schon ein paar Tage lang habe ich versucht – vergeblich, wie ich mir nun eingestehen muss -, den passenden Text zu deinem Bild zu finden. Oder sollte ich eher sagen: die passende Form? Es gibt so viele Möglichkeiten, etwas zu erzählen. Soll ich beschreiben, was ich sehe? Oder ein Gedicht verfassen? Einen Monolog? Als Akrostichon gelesen, könnte ich das Silbenkurzwort Azubi auch in ein Backronym verwandeln, zum Beispiel Anfangs zaudernd ufert bald Intelligenz, und trotzdem und doch, es bleibt dabei: Was mich am meisten an diesem Bild bewegt, ist seine Reflexion, sind die Spiegelungen, die sich darin (darauf?) finden und die mich zum Nachdenken anregen, eine Art innerer Reflexion, die auf der äußeren beruht, dazu der Text auf dem Plakat der Auszubildenden, die die Dinge anpackt offenbar. Das ist schlichtweg grandios. Wenn sich ihr Muskel im Schatten des (gespiegelten) Baums spiegelt, der Himmel über den Häusern, als Bild vom Bild, verdoppelt sich die Reflexion, die Aussage, man suche Auszubildende, also Menschen, die lernen, lädt sich auf mit einem neuen, anderen Text und ich finde mich darin wieder mit meinen eigenen Vorstellungen vom Lernen, wie sie mir als Schreibender zu eigen sind. Du weißt ja, dass mir neben allem Tun auch das Darübernachdenken für ein allmähliches Fortschreiten in den eigenen Lernprozessen wichtig ist, ich mich demzufolge ebenfalls begreife als Auszubildende, die schreibend schreiben lernt (auch meine Studierenden sollen ein Portfolio anlegen, gleichfalls ein Journal für das eigene Lernen). Manches zunächst eher spontan (oder intuitiv) Vollbrachte erhält, fasst man es in Worte, einen standfesteren Grund, ähnlich einem Sprungbrett, von dem aus sich weiter fortschreiten lässt, manchmal eben sogar springen, und insofern passt es mehr als wunderbar: In der Reflexion der Reflexion vertieft sich unsere Ausbildung, wirst du zu einem Menschen, der die Welt in Bildern fasst und ich zu einer, die sie sich schreibend erschließt.
Danke dir für dein schönes sich spiegelndes Bild, liebe Do, das mich zu so vielen spiegelnden Gedanken angeregt hat!
Herzlich grüßt dich
deine Dagmar