Rubbmü – Adjektiv, von Englisch Rubbish und Deutsch Müll mit lautmalerischen Anklängen an Englisch to rub me – rubbel mich bzw. to rub the wrong way jemanden verärgern.
Das durch keinerlei intellektuelle Anstrengung einsichtig zu machende Empfinden, trotz gegenteiliger Bemühungen hartnäckig Opfer fremden Mülls zu werden.
Immer wieder kommt es vor und wir wissen nicht, warum, dass andere ihren Abfall bei uns abladen, immer mehr, immer mehr, bis wir schließlich kapitulieren und ihn entsorgen, obwohl auch der eigene Abfalleimer längst überquillt. Wobei sich jede unfreiwillige Müllbeseitigung anfühlt, als schabte sie ein Stückchen Haut von uns. Abgerubbelt landet es neben der fremden Last und lässt uns blutig und schutzlos zurück.
(Dagmar Petrick)
Burg Arnstein im Hintergrund – mich hat allerdings der metaphorische Blick auf die Müllsäcke am Sackgassen-Schild gefesselt.
als wir gestern spazieren gingen, das Kind, der Hund und ich, wie wir es nun täglich machen wie einst in Halle an der Saale, wobei wir immer auch ein bisschen mehr die Gegend kennenlernen, kreuzten wir plötzlich einen Garten, den ich nicht anders als verwunschen nennen kann. Clematis zwängte sich üppig blühend durch die Lücken eines Jägerzauns, eine Katze schlich samtpfotig über die Beete, aus denen Radieschen und Möhren ihre Köpfe steckten. Gurken und Kürbisse rankten sich an Stäben in die schon merklich kühlere herbstlich blaue Abendluft. Auf einer Schiefertafel stand, mit Kreide geschrieben: Zwei Euro kostet der Salat.
Es stellte sich heraus: Es war eine Gärtnerei, auf die wir so unverhofft gestoßen waren. Sie hätte geradewegs einem Bilderbuch entsprungen sein können; so unwirklich kam sie mir vor in ihrer verschnörkelten Pracht. Ich kramte in meiner Tasche und fand neben dem obligatorischen Mund- und Nasenschutz einen Fünf-Euro-Schein. Heureka. Sonst habe ich selten Geld bei mir, wenn ich spazieren gehe.
Lange stand ich vor den rotglänzenden Paprika und den Möhren, die so knackig leuchteten, dass ich am liebsten hineingebissen hätte. Ich überlegte. Und entschied mich letztlich doch für einen Strauß aus bunten Wiesenblumen. Ich kann ihn nicht essen. Ich kann ihn nicht trinken. Aber ihn ansehen und daran schnuppern, das kann ich schon.
Jetzt steht er vor mir, während ich dir schreibe.
Er ist … schön.
Ich hoffe, dieser Tag wird gut für dich!
Du bist ja auch so eine, die mit der Kamera die Augenblicke einfängt, wie ich es mit meinen Worten versuche. Drückst du den Auslöser, frierst du die Momente ein, wobei Einfrieren nicht das treffende Wort ist, denn kalt sind deine Bilder gewisslich nicht. Eher kommt es mir vor, als hätte die Zuwendung, die du ihnen angedeihen lässt, Wärme und Liebe in sie hineingerubbelt.
Selbiges gilt wohl für die Poesie.
Wenn jedes Wort gefeilt und gewendet wurde, bis ein Text zu glühen beginnt, dann staune ich jedes Mal, wie aus reglosen Buchstaben Vergangenes zum Leben erwacht, sie einen Eindruck, einen Menschen, einen Ort vor Augen malen, dass man glaubt, man wäre selbst dabei gewesen.
Satt macht das natürlich nicht, zumindest füllt es nicht den Magen. Doch muss man kaum die Bibel zitieren, um zu ahnen, dass ein Mensch zwar essen und trinken muss, er stürbe sonst, und trotzdem lebt er nicht allein vom Brot. Auch Worte und Bilder nähren, was der Zuwendung bedarf, nenn es Seele, Herz oder Gemüt. Darum habe ich mich für die Blumen entschieden. Gegen Paprika und Rosenkohl.
Schon möglich, dass es aus Protest geschah. Ein stilles Aufbegehren, eine leise Weigerung, insbesondere in dieser lauten Zeit, da alles nach Digitalisierung schreit und gänzlich ohne Berührung auskommen will. Oder soll. Denn die Blumen erinnern mich – wie die Worte, die ich schreibe, wie die Bilder, die du schickst – dass ich mehr bin als reine Zweckmäßigkeit und die Berührung brauche durch etwas anderes, das mir davon erzählt. Danke für deine Bilder.
Du weißt ja, dass ich schon seit langem diese Zettel vom Boden pflücke, sie aufhebe wie verlorengegangene Kinder, die ich adoptiere. Diesmal war es ein schmal zusammengewickeltes Blättchen, kaum größer als das oberste Glied an meinem kleinen Finger, die Seite in mehrfachen Knicken eng aneinander gelegt wie bei einem Schatzkistchen, das eine Kostbarkeit birgt. Dementsprechend sorgfältig entblätterte ich es, erwartungsvoll ob seiner Botschaft, und siehe da, die Frage, die mir dort entgegensprang, hätte, so einleuchtend und klar, nicht treffender sein können: Wo ist dein Hefter?
Ich musste lachen, schallend, ziemlich laut, dass sich Leute nach mir umdrehten, denn der Zettel bringt es auf den Punkt. Als wäre er für mich gemacht, fragt er nach meiner Existenz als Schriftstellerin, ob ich heute meiner Aufgabe nachgekommen bin, so lustwandelnd, ob ich gerade schreibe? Das tat ich selbstverständlich NICHT, ging ich doch spazieren, flanieren gar.
Solche Botschaften liebe ich. Sie kommen klein und unscheinbar daher. Man muss sich nach ihnen bücken, sie im Rinnstein suchen, aus der Gosse sammeln. Dann aber sagen sie etwas Wahres über uns: Der Zettel erinnerte mich daran, dass ich schreiben soll.
Und so grüße ich dich herzlich – inzwischen wieder vom Schreibtisch, an dem ich sitze, an dem ich schreibe. Dir.
Deine Dagmar
PS: Wäre ich allerdings nicht dort entlanggegangen, einem inneren Zwang folgend, der mich gleichsam vom Schreibtisch auf die Straße drängte, urplötzlich, ich hätte auch den Zettel nicht gefunden und wäre botschaftslos geblieben. Zumindest heute. So bedingt eins das andere. Schwer zu sagen, welchem Lebenszustand man wann den Vorzug geben sollte.
Weggeworfen. Achtlos. Ich hab mich schon an vielen Kaffeebechern festgehalten. Trennungsgespräche. Belehrungsgespräche. Vorstellungsgespräche. Unsicherheit kompensiert mit dem Griff um etwas Handfestes, an dem ich zugleich nippen konnte.
Jetzt liegt der Becher auf der Straße.
Weggeworfen. Achtlos. Als wäre er Müll. Dabei hat er eine Geschichte zu erzählen. Hat er auch einmal jemanden gewärmt. Das nehme ich jedenfalls an.
Haben sie ihren Zweck erfüllt, wandern die Dinge in den Mülleimer, auf die Straße, in den Rinnstein. Gosse sagte man früher dazu.
Je mehr ich dich ansehe, desto mehr regt sich in mir das Bedürfnis, dich aufzuheben. Denn du bist es wert. Du bist immer noch Wert-Stoff.
Und dann hat er doch tatsächlich, als er nicht mehr wollte, die leere Dose neben die Bank geworfen und ist gegangen, immer fort, immer weiter, bis die Straße aufhörte. Im Nirgendwo.
Die ersten Geschichten entstanden im Dunstschein eines Lagerfeuers. Nach der Jagd. Nach dem Beerensammeln. Gemeinsam. Davon bin ich überzeugt. Der Mythos verhandelt die Dinge, die sich nicht begreifen lassen: Sonne, Mond und Sterne, der Wechsel der Jahreszeiten. Ihre in aller unberechenbaren Wandlungsfähigkeit unheimliche Gestaltlosigkeit wird gebannt im Wort, das dem Formlosen Form verleiht. Sprache besänftigt die Dämonen, indem sie sie benennt. Aber auch der Kampf mit dem Säbelzahntiger, die Geburt eines Kindes, Eifersucht, Streit und Freude kamen hier zur Sprache, wurden geteilt. Ich glaube nicht, dass sich unsere Emotionen grundlegend verändert haben durch die Jahrtausende. Sie sind der Urquell allen Erzählens, und alles Erzählen zielt auf Mitteilung und so stelle ich mir vor, wie unsere Vorfahren dicht an dicht beieinander saßen, um erzählend den Mysterien des Seins nachzuspüren.
Schreiben als Kulturtechnik verläuft anders, es ist ein einsames Geschäft und dem mündlichen Erzählen nachgelagert. Doch auch Schreiben zielt auf Teilhabe „Schreiben heißt antworten, ohne gefragt zu sein“, sagte Christian Mocker. Was aber tun, wenn es kein Ohr mehr gibt, das hört?
Der Aufruf, digital zu gehen und die eigene Befindlichkeit überall und jederzeit in die scheinbar grenzenlose Welt des Worldwideweb hinauszuklicken, negiert die Notwendigkeit eines hörenden Ohrs, das empfängt. Wer diesem Aufruf bedingungslos folgt, zieht sich zurück auf den Status des Allwissenden, der ohne Hörer auskommt, eines Senders, der den Empfangenden ignoriert. Wo ein PC, ein Smartphone, geht man flugs viral. Man teilt. Und teilt doch nicht. Denn Teilen hieße, ich gebe ab von dem, was ich habe, und sehe und höre, wie du empfängst, und ich erlebe es mit allen Konsequenzen. Denn auch dem Heiligen Martin wird es schwerer gefallen sein, sich warm zu halten auf seinem hohen Ross, nachdem er seinen Mantel in zwei Teile schnitt. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass der Teilende leer ausgeht, man denke nur an jenen wunderlichen Vorfall, von dem die Bibel berichtet, als von fünf geteilten Broten und zwei Fischen am Ende so viel mehr übrigblieb, als anfänglich vorhanden war. Körbe wurden eingesammelt und übervoll nach Hause geschleppt. Die Menschen waren satt, aber auch erfüllt, sie hatten an Einsicht gewonnen: Wo ich befürchte, zu wenig zu haben, dass es nicht für andere langt, erhalte ich durch Teilen mehr.
„Teilt Stories, nicht Corona“ schickt uns zurück in die Häuser noch vor der teilenden Erfahrung, die das Geteilte multipliziert. Es verlangt, dass wir unsere Geschichten in den Winkeln des Privaten suchen und aus der Isolation heraus erzählen, wobei sich zwar per einfachem Mausklick jeder Satz und jedes Bild in Sekundenschnelle unbegrenzt in alle Welt verbreiten lässt. Doch ist geliked noch lange nicht geteilt, und ob wir davon satt werden, bleibt auch fraglich. Denn das Bedürfnis, sich die Mysterien des Lebens erzählend gegenseitig zu erklären, besteht unvermindert fort. Ich jedenfalls suche noch immer in den Gesichtszügen meines Gegenübers eine Reaktion auf Dinge, die ich sage oder schreibe, auch wenn die Zeiten, da uns der flackernden Schein des Lagerfeuers die Empfindungen der anderen auf das Gehörte widerspiegelte, unwiederbringlich vorüber zu sein scheinen.
(Dagmar Petrick)
Teilt Stories … Sonntag früh radelte ich durch den menschenleeren Klarapark in Leipzig. Mein Blick blieb an diesem Banner hängen:
„Teilt Stories, nicht Corona! Nutze deine Reichweite bitte nur noch im Netz, nicht im öffentlichen Leben. Denn womöglich teilst du das Corona-Virus gerade mit deinen Mitmenschen, ohne es zu wissen. Also geh jetzt nach Hause und vermeide sozialen Kontakt. Du rettest Leben!“
Am späten Nachmittag, auf dem Rückweg, spielten Musiker auf der Brücke, junge Leute saßen dicht an dicht, plauderten, tranken, waren fröhlich. Ich schlängelte mich zwischen ihnen durch und war irgendwie ein bischen froh, dass nicht alle nach Hause gegangen waren.